Scheunenfund Opel Kapitän PL-V
Lebendig begraben und nun endlich frei
48 Jahre hatte man ihn verdrängt, verstoßen und schließlich vergessen. Der stolze Kapitän kam über eine kurze Überführungsfahrt nicht hinaus. Lebendig begraben saß er die Höchststrafe ab. Jetzt kommt er endlich frei.
Das rote Fina-Fahrtenbuch im großen Handschuhfach mit dem goldenen Kapitän-Schriftzug auf dem Deckel blieb leer. Seine am Rand vergilbten Seiten tragen keinen Eintrag, keine Tankung, keinen Ölwechsel, geschweige denn neue Zündkerzen oder einen Schmierdienst. Nichts davon war in diesem Eintagsfliegen-Autoleben nötig.
So leer wie das Fahrtenbuch ist zunächst auch das Gedächtnis des Kapitäns. Es scheint, als hätte er es verloren wie ein Amnesie-Patient, der einfühlsam wieder ins Leben zurückgeholt werden muss. Fakten gibt es nicht viele, dafür umso mehr Fantasie, die um das Unfassbare kreist, wie man ein so herrliches Auto, Statussymbol von einst, fast fünfzig Jahre vergessen konnte. Damals war der Kapitän ein Fabrikanten-Auto, gern auch vom Chauffeur bewegt eines der Freiberufler und Besserverdienenden. Auf dem noch vorhandenen Bestellformular des Ludwigsburger Opel-Autohauses Reiner steht unter Beruf "Heizer". Hilfsarbeiter wie der hier mit blauem Kopierstift dokumentierte Eduard S. aus Markgröningen konnten sich eigentlich gar keinen Opel Kapitän L für 10.821 Mark leisten.
Der Besitzer
musste den Führerschein abgeben
"Auslieferung am 12. 2. 1962",
auch dieses leicht verblichene Schriftstück bleibt
in seinem Text einsilbig. S. ließ das Auto nie auf
seinen Namen zu. Bei Auto-Reiner kann sich niemand
mehr an den Vorfall erinnern. Mike van Severen, dem
ein glücklicher Zufall den Kapitän in die Hände
spielte, konnte nur Fragmente der Geschehnisse
recherchieren. Der Oldtimer-Enthusiast und Liebhaber
alter Opel-Modelle berichtet von einem mysteriösen
tödlichen Autounfall, der sich kurz vor Übergabe des
Kapitäns ereignet hat. Eduard S. wurde offenbar
beschuldigt, ihn mit seinem alten VW 1200 verursacht
zu haben. Er verlor seinen Führerschein und wollte
fortan von dem Kapitän nichts mehr wissen.
Die fünfstellige Walze neben den Tageskilometerzähler blieb vor 48 Jahren bei 00023 stehen. Dreiundzwanzig steht da, schwarz auf weiß. Irgendwann, Ende der Siebziger, soll jemand den flüsterleisen Sechszylinder noch einmal gestartet haben. Ist um den Block gefahren, hat den alten, baufälligen Schlosserei-Werkstatthof einige Male umrundet, dann die Lust an dem prächtigen Dreigang-Musikdampfer der Wirtschaftswunderzeit verloren und ihn wieder abgestellt.